Um möglichst vielen Menschen einen Einblick in den Beruf des Glasers zu ermöglichen, biete ich jedem einen Praktikumsplatz, der danach fragt, ich habe tatsächlich noch Niemanden abgelehnt. Ich hatte Schülerpraktikanten von Haupt- und Realschulen, Schulabbrecher aus Maßnahmen des Arbeitsamtes, Gescheiterte aus Entzugsprogrammen, Leute aus Fördergesellschaften und Auffangmaßnahmen. Viele wurden vermittelt, manche kamen freiwillig. Die Praktika dauern in der Regel zwei Wochen, manchmal länger, einige brechen nach wenigen Tagen oder sogar Stunden ab. Vom Arbeitsamt sollte einmal ein Mädchen kommen, das dann aber anstelle des sehr kurzfristig und eilig vereinbarten Praktikums eine Urlaubsreise mit seiner Mutter vorgezogen hat. Über die Einstellung der Mutter kann man dabei auch einmal nachdenken.
Gerade habe ich seit Frühjahr einen Jugendlichen, der sein Praktikum solange ausdehnen konnte, bis er im Herbst seine Ausbildung bei uns beginnen kann. In diesem Fall ist das Praktikum ideal verlaufen und hat sein Ziel voll erreicht. Wir als Betrieb konnten den Jungen langfristig beobachten und prüfen, ob er zuverlässig und belastbar ist und in unser Team passt, er selbst bekam einen umfassenden Ausblick auf das spätere Berufsleben. Alles gut.
Häufiger läuft es anders.
Kevin* kommt häufig zu spät. Nachdem die üblichen Korrekturversuche keinen Erfolg zeigen, stellt sich heraus, dass der Junge schlafwandelt. „Ich kann nicht aufstehen, ich merke ja nicht, wenn der Wecker klingelt.“ Ich schlage vor, sich irgendeine Methode zu ersinnen, notfalls mit ärztlicher Hilfe, den Weckvorgang in den Griff zu bekommen, aber es zeigt sich, dass er mit seiner Ausrede bisher immer gut durchgekommen ist und daher nichts ändern möchte. Ich erkläre ihm die Notwendigkeit von Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit im beruflichen Leben, erreiche ihn aber nicht wirklich. Er sieht keine Notwendigkeit, an sich zu arbeiten und beendet das Praktikum.
Roland* ist Anfang dreißig, ein Nervenbündel, und erscheint mit seinem Betreuer. Der versichert mir, der Roland wäre jetzt langsam so weit, dass er zwei Stunden täglich arbeiten könne. Ein Drogenproblem hat seinen Körper und Geist aufs Äußerste mitgenommen, eine jahrelange Therapie liegt bereits hinter ihm. Ich willige ein, wir versuchen es mal mit dem Arbeiten. Leider zeigt sich, dass hier ein normales Leben nicht und wahrscheinlich auch nie mehr möglich sein wird. Nach einigen Wochen geht Roland in die Therapie zurück. Es war uns nicht gelungen, ihn dazu zu bewegen, sich einen Fehler einzugestehen. Jedes Ansprechen löste sofort heftigsten Widerstand aus, auch die Arbeitszeit konnten wir nicht wirklich ausdehnen. Er ist den Belastungen eines Arbeitslebens in keiner Weise gewachsen. Monate später schreibt er uns einen Brief, in dem er berichtet, dass er jetzt eingesehen habe, dass er damals das Verkitten wohl doch nicht ganz richtig gemacht hatte. Es geht also noch aufwärts mit ihm.
Florian* ist 21 Jahre alt, hat vor fünf Jahren ohne Abschluss eine Förderschule verlassen und bis jetzt nichts gemacht, außer auf Kosten seiner Freundin zu leben. Die Arbeitsagentur schickt ihn zu uns und er will unbedingt eine Ausbildung, weil er jetzt eingesehen hat, „dass man das wohl braucht“ und einen Schulabschluss will er auch nachholen. Wie wir später herausfinden, steckt hinter dieser Einsicht eine ihm von seiner Freundin eingeräumte allerletzte Chance, es zu etwas zu bringen. Hochmotiviert tritt er sein Praktikum an und fragt, wann er denn endlich die Firmenkleidung bekommt, damit er sich auch wirklich dazugehörig fühlen kann. Ich kann natürlich nicht jeden Praktikanten gleich komplett einkleiden, gebe ihm aber einen Pullover mit unserem Logo. Ich glaube, er hat ihn rund um die Uhr getragen. Bei der Arbeit fällt den Gesellen zunächst auf, dass er nicht rechnen kann. Gar nicht. Und tatsächlich ist es so. Beim Anzeichnen von Bohrlöchern auf einem Profil muss er 150 cm durch drei teilen und scheitert kläglich. Rechnen kann man ja vielleicht noch lernen denke ich. Meine Frau recherchiert nach Rechenhilfen, macht mit dem Arbeitsamt Nachhilfe klar, aber es stellt sich heraus, dass er auch sonst nichts kann. Er ist mit den einfachsten Dingen überfordert. Wenn er Silikon aus dem Auto holen soll, hat er im Auto bereits vergessen, ob braunes oder weißes und bringt schwarzes. Und beim zweiten Versuch Graues. Beim dritten Versuch weiß er überhaupt nicht mehr, was er holen soll, oder sollte er etwas wegbringen? Er ist nicht in der Lage, die allerniedersten Aufgaben zu erfüllen. Die Gesellen nennen ihn nun nur noch den Atomphysiker, wir müssen das Praktikum beenden. Daraufhin gehen die Beschimpfungen los. Er hätte nie die Chance bekommen, sich zu beweisen, in ihm würde viel mehr stecken und die Berufsschule würde er ganz sicher schaffen. Wir versuchen ihm klarzumachen, dass etwas mit seiner Selbstwahrnehmung nicht in Ordnung sei, aber es ist vollkommen aussichtslos. Seine Freundin verlässt ihn am selben Tag. Zurück bleibt ein junger, gesunder, kräftiger Mann ohne Zukunft.
* Die Namen sind natürlich geändert.
[…] Bruder hat Praktikanten. […]
Kevin: Solche kenne ich auch aus meiner Arbeit als KFZ-Mechatroniker zu faul zum arbeiten und wollen nichts lernen leider waren die bei uns auch immer unbelehrbar.
Roland: Tut mir sehr leid um Roland versucht sein Leben in Griff zu bekommen schafft es aber leider nicht schade.
Florian: Tut mir auch irgendwie leid auch wenn er viele Fehler gemacht hat (auf kosten der Freundin leben, kein Schulabschluss gemacht…) anscheinend hat er sich ja riesig gefreut eine Chance zu bekommen aber leider wenn er nicht mal die einfachsten Aufgaben bewältigen kann wie soll das als Geselle aussehen oder wie schon erwähnt in der Berufsschule?